1767 – 1835 Die Cypressenallee
Ich sah euch lang nicht,
finstere Cypressen,
Durch euch einst meiner jugend
Schritte gingen,
Doch wie des Schicksals Pfade
sich verschlingen,
Kann ich an euch im Herzen
wohl ermessen.
Der Jugend Trauer hatte ich
vergessen,
Weil mir des Lebens Loose
heiter hingen,
Da hört’ ich plötzlich scharfe
Töne klingen,
Die Seufzer meiner bangen
Brust entpressen.
Zurückgedrängt ward’ ich in
eure Schatten,
Die ihr am Abend, weithinreichend,
sendet,
Und wenn mein Blick sich zu
den Wolken wendet,
Seh’ ich ihr Licht an eurer
Nacht ermatten.
Ich kann auf Hülfe nicht vom
Himmel zählen,
Muß mit der Erde Dunkel mich
vermählen.
Wenn Güte und Gerechtigkeit
verbunden,
In Einer Brust, wie
Zwillingsschwestern, wohnen,
Ist die, worin die
Gottentsproßnen thronen,
Von Ernst und Milde, streng
und sanft, umwunden.
Sie theilen nicht sich in des
Tages Stunden,
Nach Laun’ und Zufall nicht
verzeihn und lohnen,
Ihr strenges Ahnden und ihr
mildes Schonen
Nach reifer Weisheit schlägt
und heilet Wunden.
Wenn eine beider
Himmelsschwestern fehlet,
Ist fintre Schattenseite im
Gemüthe.
Doch gibt es auch Naturen,
auserwählet,
Wo die Gerechtigkeit so Wurzel
schläget,
Und Schuld und Unschuld so
erhaben wäget,
Daß sie vertritt die Stelle
aller Güte.
Der Jugend Bilder
sind die süßen Träume,
In die am liebsten ich mich
sinnend senke,
An ihrem Glanze ich mein Alter
tränke,
Und schweif’ hinaus in
sonnenlichte Räume.
Der Jugend ziemt das Wort: ich
überschäume,
Und des Genusses Becher voll
mir schenke;
Das Alter fordert, daß
Vernunft es lenke,
Ihm ziemt das Wort: ich mäßig
bin und säume.
Doch wie die Sonne glänzet
noch und scheinet,
Wenn auch verschwunden ist die
Kraft der Stralen,
Und Schein und Wesen dient
zwei Hemisphären;
So ist’s dem Alter süßes
Lustgewähren,
Wenn sich im Widerschein die
Bilder malen,
Worin sich Gegenwart und
Vorzeit einet.
...
dann sie im Scheine nur der
Dinge lebet,
und ist von jedem Scheine doch
befreiet,
weil ihr Schein aus der
tiefsten Wahrheit stammet.
...
In einem Punkt vereinte sich
mein Leben,
...
um einen treuen Namen so sich
schlinget
der Dank, der glühend meiner
Brust entsteiget;
zu einer Unsichtbaren hin sich
neiget
mein Herz, nach einer meine
Sehnsucht ringet,
und Götterseligkeit mich still
durchdringet,
wenn ihr Bild spricht, und
alles Andre schweiget.
O zweifle nicht,
die Wahrheit klar zu sehen!
Wie du es willst,
muß nackt sie vor dir stehen.
Du darfst nur an
die Kraft des Geistes spannen,
Und Wahn
verjährter Vorurteile bannen.
Wohin du magst den
Blick der Forschung drehen,
Um die Natur sich
Täuschungsfäden spannen,
Doch alle sinken
vor dem Kraftermannen,
Und reine
Wahrheitslüfte dich umwehen.
Dem Menschen gern sich die
Natur entschleiert,
Der, weil er Wahrheit suchet,
Wahrheit findet,
Sie willig ihr Geheimniß ihm
vertrauet,
Und sich im Spiegel seiner
Seele schauet,
Sie ihre eigne stille Größe
feiert
Wenn sie Erkenntnis fest in
ihm begründet.
...
Den stillen Kahn, der mich hierher
getragen,
Zur Rückkehr niemals wieder
ich besteige;
Hier ewge Wohnung hab’ ich
aufgeschlagen,
Wo nur der Himmel ist mein
ernster Zeuge.
Hier fühl’ ich endlich meine
Ruhe tagen,
Und dankerfüllt ich meine
Kniee beuge;
Jetzt meine sichren Schritte
nichtmehr zagen,
Gesieget hab ich, doch vom
Sieg ich schweige.
Und kostet theurer er dem
armen Herzen,
Das widerstrebend rang mit
seinen Schmerzen,
Jetzt hat es, wie es wollte,
überwunden.
Gelagert ist der Schmerz in
Todesstille,
Er starr und fühllos blickt
durch dichte Hülle,
Und nun in Wehmuth kann die
Brust gesunden.
...
Denn auch, daß Mensch mit
Menschen sich vereine,
muß jeder seinen Pfad erst
einsam gehen,
und lernen erst sich selber zu
verstehen,
eh, was er sei, dem anderen
erscheine.
...
...
Soll ich Kronion Dich? Jehovah nennen?
...
... Unendlichkeit von Welten
lieget
in jener ungemeßnen
Glutentiefe,
und kreisend durch den Raum
der Leere flieget,
in der die Kraft der Schwere,
unbesieget,
den ehern Schlaf des
Nichtseins ewig schliefe,
wenn in das Leben nicht der
Gott sie riefe.
Der Wille kann sich aus der
Tat erzeugen
Im Anstoß stark und fest im
Widerstande,
Er kann zerreißen enggeknüpfte
Bande,
Und zwar das Schicksal brechen
nicht, doch beugen.
Ich mir schon frühe machte ihn
zu eigen,
Und stähl’, ihn fort bis zu
des Grabes Rande;
Denn Unentschlossenheit dem
Greis ist Schande,
Gereift muß er die Frucht des
Lebens zeigen.
Wenn Muth ihm und Geduld zur
Seite stehen,
Kann er durch alle
Lebensdunkel gehen;
Sich wapnen muß er still und
ernst mit beiden.
Denn Glück und Ruhe sind dahin
geronnen,
Wenn nicht der Mensch vermag,
gefaßt besonnen,
Was ihm das Schicksal sendet,
stark zu leiden.
In einem Punkte sich
zusammendränget
Mein Leben wie in seiner
höchsten Blüte.
Aus ihm entsprang dem
strebenden Gemüthe,
Woran es sehnend bis zum Grabe
hänget,
Und bis dahin es, dunkel
eingeenget,
Sein Wollen zu entziffern bang
sich mühte:
Da kam mir ihre sonnenmilde
Güte,
Wie Thau der Flur, die Sirius
Glut versenget.
Wenn mir nun Stralen höhrer
Klarheit glänzten,
Sie nur von ihres Schimmers
Lichte stammten;
Denn mit den Glorien, die sie
umflammten,
Die Stirn mir ihre Hände
huldreich kränzten;
Was zarten Ursprungs sich in
mir verkündet,
Hat ihrer Liebe Inbrunst erst
entzündet.
Zum Meer des Mississippi
Wasser flogen,
Als nie noch hatte
Menschenwort geklungen,
Als die Natur von Dumpfheit
lag bezwugen,
Und Ungebilde durch den Urwald
zogen.
Die Grenzen waren noch nicht
abgewogen,
Der große Streit war noch
nicht ausgerungen,
Wie die Natur vom Geiste soll
durchdrungen
Maß setzen ihrem eigenmächtgen
Wogen
Erst mit des Menschen in der
Welt Erscheinen
Die ewge Scheidewand sich
sondernd setzte.
Wo vor der Elemente wildem
Stürmen
Bewahret milder Gottheit
huldreich Schirmen,
Wo Menschenohr an
Menschenklang sich letzte,
Und starren Schmerz erweichte
sanftes Weinen.
Wenn einem Volke
sinnreich es gelinget,
In Zeichen den
Gedanken stumm zu hüllen,
Oft nach
Jahrtausenden hervor er springet,
Noch später
Nachwelt Wißbegier zu stillen.
Was so von Volk zu
Volk sich geistig schlinget,
Ist überirdisch
ewges Wahrheitsquillen,
Abhängig nicht von
dem, was Mensch vollbringet,
Stark durch sich
selbst, der Zeiten Raum zu füllen.
Denn gleich
kostbarer Steine edlen Minen,
Im Schooß der Zeit
der Wahrheit Schätze liegen,
Und sich des Munds
der Sterblichen bedienen.
Was nun der Blöden
Stimme wahr entschallet,
Voll Kraft, des
Irrthums Dunkel zu besiegen,
Das her aus jener
ewgen Tiefe hallet.
Der Völker Sprachen grübelnd
zu vergleichen,
heißt tief in ihres Geistes
Wesen dringen,
denn wie die Welt zu fassen
sie erreichen,
so sinnbegleitend ihre Töne
klingen.
Das Leiseste muß finden
schallend Zeichen,
der Laut umsonst nicht mit dem
Geiste ringen;
und wie der Siegerwagen
flüchtge Speichen,
muß sich der Rede
Wechselfügung schwingen.
Nicht alle Völker dieses Ziel
ereilen,
Nicht alle dieses Sieges Palme
theilen,
Doch Einem war dies hohe Loos
beschieden:
Dem Volk von der Pelasger
altem stamme
Entbrennete des Geistes heilge
Flamme
Tonreich, wie keinem andren
Volk hienieden.
1767 – 1835 Nr.
1014 vom 10. Oktober 1834
Gieb einen Ort außer des
Erdballs Schranken
mir, fest zu stehn, so will
ich ihn bewegen!
sprach Archimed, des grübelnde
Gedanken
ihn führten zu der Schatten
dunklen Wegen.
Was du gefühlvoll sprichst,
hast du zu danken
der gleichen Kunst: Gefühle
nie dich regen;
du kannst, ergriffen nie von
ihrem Schwanken,
sie kalt und ruhig auseinander
legen.
Du spielst mit ihnen wie mit
leichtem Balle,
doch die da horchen deines
Wortes Schalle,
sind hingerissen wie von
echter Wahrheit,
indes du selbst in
Wintersonnenklarheit
in ihre Herzen deine Täuschung
senkest
und künstlich sie dir willig
folgsam lenkest.
...
Jung hab ich der Gesellschaft
Haß geschworen,
viel Jahre wider Willen drin
verloren,
doch jetzt auf ewig gründlich
sie besieget
...
...
So wie das Tagsgestirn sich
stets erneuet,
was göttlich Du, von innrem
Geist getrieben,
dem Menschen tief hast ins
Gemüt geschrieben,
durch alle Nachwelt Licht und
Wärme leihet.
...
1767 – 1835
Wer nichts als ewig totes
Wissen treibet,
niemals Gedanken zur Idee
verbindet,
nie, was den Busen tief
ergreift, empfindet,
der doch nur in der Menschheit
Vorhof bleibet.
Er gegen alles Höhere sich
sträubet,
das Menschlichste vor ihm in
nichts verschwindet,
und was sein Scharfsinn wahr
und fein ergründet,
doch nur der Dinge Äußeres
umschreibet.
Drum wählet, geistig stets mit
ihr zu wohnen,
er sich die trockenste der
Nationen,
die niemals hoher
Dichtungssinn beseelet,
da nie Begeisterung den Busen
schwellet
und nie ein Dunkel grübelnd
wird erhellet,
das zu durchdringen tiefre
Sehnsucht quälet.
1767 – 1835
Von der Natur mit Witz und
Geist beschenket,
von regen Feuer auch der Brust
belebet,
mit dem man aufwärts zu dem
Bessren strebet,
doch niemals er sein Schiff
zum Ziele lenket.
Denn jedesmal sich fühlend
tief gekränket,
wenn sich ein andrer neben ihm
erhebet,
er in dem ungewissen Zustand
schwebet,
wo bald er hofft, bald nie zu
glücken denket.
Geschleudert wird er so aus
allen Bahnen,
die zu dem schönen
Gleichgewichte führen,
das aus der Sicherheit der
Kraft entspringet.
Wer ewig mit verfehlter
Hoffnung ringet
und immer will
Erbittrungsflammen schüren,
der hört nicht auf der
Weisheit stilles Mahnen.
...
Schon Pindars nimmer welkende
Gesänge
dem Wasser Preis vor allen
Dingen weihen...
und klar umströmt die Flut zu
Kühlungswonne
die kühnen Sprungs in sie
getauchten Glieder
und träufet an den schönen
Jüngling nieder,
in jeden Tropfen fassend eine Sonne;
ihr Leben dann mit seinem sie
vermählet,
und er entsteigt, mit neuer
Kraft gestählet.
1767 – 1835
Hell wie Dezembersonne sie
mich nannten,
weil sie in mir nicht an
Gefühle glaubten;
die mir so oft des Lebens Ruhe
raubten,
die innren Stürme sie in mir
nicht kannten.
Doch weil die Gluten, die
verstohlen brannten,
gedämpft vom Willen, immer mir
erlaubten,
Besonnenheit des Geistes zu
behaupten,
das Gleichnis doch auf mich
sie wohl anwandten.
Denn wie des Winters
mitleidlose Hände
der Sonne, daß ihr
Strahlenball nicht blende,
zurück das Haar am Haupt
gebunden flechten,
zwang ich, um jede Täuschung
abzuschneiden,
die Wahrheit selber noch sich
zu entkleiden
und haftete am Nackten nur und
Echten.
1767 – 1835
Sie sprachen von Gemüt und zu
es schrieben
bald dem, bald jenem, weil
Gefühl er hegte,
das auf der Seele Fläche sich
bewegte,
doch nie hatte gediegne Frucht
getrieben.
Ich ließ sie Ungerechtigkeit
still üben;
was mächtig sich in mir im
Innern regte,
nie um die Brust der
Schwächlinge sich legte,
die nicht zu hassen wußten
noch zu lieben.
Gern mich verschloß ich einsam
in Gefilde,
wo fern von blöden,
ungeweihten Augen,
die nicht zu schaun das
Wesenhafte taugen,
in phantasieerregtem, glühndem
Herzen
mit selger Wonne und mit
selgen Schmerzen
begegneten mir himmlische
Gebilde.
Ich lieb’ euch, meiner Wohnung
stille Mauern,
Und habe euch mit Liebe
aufgebauet;
Wenn man des Wohners Sinn im
Hause schauet,
Wird lang nach mir in euch
noch meiner dauern.
Vor Augen seh’ ich hier
Hermias lauern,
Ob Schlaf der Io-Wächter schon
umgrauet,
Den Gallier, der sein Weib,
von Blut umthauet,
Hinsinkend sterben sieht mit
Wehmuthsschauern;
Vor allem dich aus der
Olympier Kreise,
Dich, süße Hofnung, die, nach
Genius Weise,
Du Balsam mildernd gießest in
die Wunden,
Und lehrst die Brust in
stillen Ernstes Stunden,
Daß von der Sehnsucht Schmerz
der Tag befreiet,
Der Menschen Dasein endet und
erneuet.
1767 – 1835 Frühlingswiederkehr
Wenn sich im Lenz der Bäume Knospen
dehnen,
und Blätter zu entfalten sich
bereiten,
ergreift die Brust ein süß
hinschmelzend sehnen,
und innrer Drang und äußre
Enge streiten.
Doch, kann das dumpfe
ahnungsvolle Wähnen
zu lichter Klarheit sich
hervorarbeiten,
ists, wie wenn Zug von weißbeschwingten
Schwänen
man siehet breiten Strom
hinuntergleiten.
Denn aus des tiefsten Busens
glühndem Schwellen,
wie aus des Himmels reinen
Silberquellen,
dann die Gefühle reiner Liebe
fließen;
und wenn auch schnee sich um
die Schläfe leget,
dieselbe Sehnsucht doch geheim
sich reget
mit jedem Jahr, wenn neu die
Blumen sprießen.