Wilhelm von Humboldt           Nr. 925 vom 13. Juli 1834

1767 – 1835                                        Die Cypressenallee

 

Ich sah euch lang nicht, finstere Cypressen,

Durch euch einst meiner jugend Schritte gingen,

Doch wie des Schicksals Pfade sich verschlingen,

Kann ich an euch im Herzen wohl ermessen.

 

Der Jugend Trauer hatte ich vergessen,

Weil mir des Lebens Loose heiter hingen,

Da hört’ ich plötzlich scharfe Töne klingen,

Die Seufzer meiner bangen Brust entpressen.

 

Zurückgedrängt ward’ ich in eure Schatten,

Die ihr am Abend, weithinreichend, sendet,

Und wenn mein Blick sich zu den Wolken wendet,

 

Seh’ ich ihr Licht an eurer Nacht ermatten.

Ich kann auf Hülfe nicht vom Himmel zählen,

Muß mit der Erde Dunkel mich vermählen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 928 vom 16. Juli 1834

Höchste Gerechtigkeit

 

Wenn Güte und Gerechtigkeit verbunden,

In Einer Brust, wie Zwillingsschwestern, wohnen,

Ist die, worin die Gottentsproßnen thronen,

Von Ernst und Milde, streng und sanft, umwunden.

 

Sie theilen nicht sich in des Tages Stunden,

Nach Laun’ und Zufall nicht verzeihn und lohnen,

Ihr strenges Ahnden und ihr mildes Schonen

Nach reifer Weisheit schlägt und heilet Wunden.

 

Wenn eine beider Himmelsschwestern fehlet,

Ist fintre Schattenseite im Gemüthe.

Doch gibt es auch Naturen, auserwählet,

 

Wo die Gerechtigkeit so Wurzel schläget,

Und Schuld und Unschuld so erhaben wäget,

Daß sie vertritt die Stelle aller Güte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 929 vom 17. Juli 1834

Jugend und Alter

 

Der Jugend Bilder sind die süßen Träume,

In die am liebsten ich mich sinnend senke,

An ihrem Glanze ich mein Alter tränke,

Und schweif’ hinaus in sonnenlichte Räume.

 

Der Jugend ziemt das Wort: ich überschäume,

Und des Genusses Becher voll mir schenke;

Das Alter fordert, daß Vernunft es lenke,

Ihm ziemt das Wort: ich mäßig bin und säume.

 

Doch wie die Sonne glänzet noch und scheinet,

Wenn auch verschwunden ist die Kraft der Stralen,

Und Schein und Wesen dient zwei Hemisphären;

 

So ist’s dem Alter süßes Lustgewähren,

Wenn sich im Widerschein die Bilder malen,

Worin sich Gegenwart und Vorzeit einet.

 

 

 

 

 

 

Nr. 930 vom 18. 7. 1834

 

...

dann sie im Scheine nur der Dinge lebet,

und ist von jedem Scheine doch befreiet,

weil ihr Schein aus der tiefsten Wahrheit stammet.

 

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 936 vom 24. 7. 1834

 

...

In einem Punkt vereinte sich mein Leben,

...

 

um einen treuen Namen so sich schlinget

der Dank, der glühend meiner Brust entsteiget;

zu einer Unsichtbaren hin sich neiget

 

mein Herz, nach einer meine Sehnsucht ringet,

und Götterseligkeit mich still durchdringet,

wenn ihr Bild spricht, und alles Andre schweiget.

 

 

 

 

 

 

Nr. 937 vom 25. 7. 1834

Der Wahrheit Gewinn

 

O zweifle nicht, die Wahrheit klar zu sehen!

Wie du es willst, muß nackt sie vor dir stehen.

Du darfst nur an die Kraft des Geistes spannen,

Und Wahn verjährter Vorurteile bannen.

 

Wohin du magst den Blick der Forschung drehen,

Um die Natur sich Täuschungsfäden spannen,

Doch alle sinken vor dem Kraftermannen,

Und reine Wahrheitslüfte dich umwehen.

 

Dem Menschen gern sich die Natur entschleiert,

Der, weil er Wahrheit suchet, Wahrheit findet,

Sie willig ihr Geheimniß ihm vertrauet,

 

Und sich im Spiegel seiner Seele schauet,

Sie ihre eigne stille Größe feiert

Wenn sie Erkenntnis fest in ihm begründet.

...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 954 vom 14. 8. 1834

Der Wehmuth Hafen

 

Den stillen Kahn, der mich hierher getragen,

Zur Rückkehr niemals wieder ich besteige;

Hier ewge Wohnung hab’ ich aufgeschlagen,

Wo nur der Himmel ist mein ernster Zeuge.

 

Hier fühl’ ich endlich meine Ruhe tagen,

Und dankerfüllt ich meine Kniee beuge;

Jetzt meine sichren Schritte nichtmehr zagen,

Gesieget hab ich, doch vom Sieg ich schweige.

 

Und kostet theurer er dem armen Herzen,

Das widerstrebend rang mit seinen Schmerzen,

Jetzt hat es, wie es wollte, überwunden.

 

Gelagert ist der Schmerz in Todesstille,

Er starr und fühllos blickt durch dichte Hülle,

Und nun in Wehmuth kann die Brust gesunden.

 

 

 

 

 

 

Nr. 959 vom 18. 8. 1834

 

...

Denn auch, daß Mensch mit Menschen sich vereine,

muß jeder seinen Pfad erst einsam gehen,

und lernen erst sich selber zu verstehen,

eh, was er sei, dem anderen erscheine.

...

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 963 vom 20. 8. 1834

 

...

Soll ich Kronion Dich?  Jehovah nennen?

...

... Unendlichkeit von Welten lieget

in jener ungemeßnen Glutentiefe,

und kreisend durch den Raum der Leere flieget,

 

in der die Kraft der Schwere, unbesieget,

den ehern Schlaf des Nichtseins ewig schliefe,

wenn in das Leben nicht der Gott sie riefe.

 

 

 

 

 

 

Nr. 967 vom 24. 8. 1834

Muth und Geduld

 

Der Wille kann sich aus der Tat erzeugen

Im Anstoß stark und fest im Widerstande,

Er kann zerreißen enggeknüpfte Bande,

Und zwar das Schicksal brechen nicht, doch beugen.

 

Ich mir schon frühe machte ihn zu eigen,

Und stähl’, ihn fort bis zu des Grabes Rande;

Denn Unentschlossenheit dem Greis ist Schande,

Gereift muß er die Frucht des Lebens zeigen.

 

Wenn Muth ihm und Geduld zur Seite stehen,

Kann er durch alle Lebensdunkel gehen;

Sich wapnen muß er still und ernst mit beiden.

 

Denn Glück und Ruhe sind dahin geronnen,

Wenn nicht der Mensch vermag, gefaßt besonnen,

Was ihm das Schicksal sendet, stark zu leiden.

 

 

 

 

 

 

Nr. 973 vom 30. August 1834

Licht der Liebe

 

In einem Punkte sich zusammendränget

Mein Leben wie in seiner höchsten Blüte.

Aus ihm entsprang dem strebenden Gemüthe,

Woran es sehnend bis zum Grabe hänget,

 

Und bis dahin es, dunkel eingeenget,

Sein Wollen zu entziffern bang sich mühte:

Da kam mir ihre sonnenmilde Güte,

Wie Thau der Flur, die Sirius Glut versenget.

 

Wenn mir nun Stralen höhrer Klarheit glänzten,

Sie nur von ihres Schimmers Lichte stammten;

Denn mit den Glorien, die sie umflammten,

 

Die Stirn mir ihre Hände huldreich kränzten;

Was zarten Ursprungs sich in mir verkündet,

Hat ihrer Liebe Inbrunst erst entzündet.

 

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 978 vom 4.9.1834

Der Mississippi

 

Zum Meer des Mississippi Wasser flogen,

Als nie noch hatte Menschenwort geklungen,

Als die Natur von Dumpfheit lag bezwugen,

Und Ungebilde durch den Urwald zogen.

 

Die Grenzen waren noch nicht abgewogen,

Der große Streit war noch nicht ausgerungen,

Wie die Natur vom Geiste soll durchdrungen

Maß setzen ihrem eigenmächtgen Wogen

 

Erst mit des Menschen in der Welt Erscheinen

Die ewge Scheidewand sich sondernd setzte.

Wo vor der Elemente wildem Stürmen

 

Bewahret milder Gottheit huldreich Schirmen,

Wo Menschenohr an Menschenklang sich letzte,

Und starren Schmerz erweichte sanftes Weinen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 991 vom 17. 9. 1834

Hieroglyphen

 

Wenn einem Volke sinnreich es gelinget,

In Zeichen den Gedanken stumm zu hüllen,

Oft nach Jahrtausenden hervor er springet,

Noch später Nachwelt Wißbegier zu stillen.

 

Was so von Volk zu Volk sich geistig schlinget,

Ist überirdisch ewges Wahrheitsquillen,

Abhängig nicht von dem, was Mensch vollbringet,

Stark durch sich selbst, der Zeiten Raum zu füllen.

 

Denn gleich kostbarer Steine edlen Minen,

Im Schooß der Zeit der Wahrheit Schätze liegen,

Und sich des Munds der Sterblichen bedienen.

 

Was nun der Blöden Stimme wahr entschallet,

Voll Kraft, des Irrthums Dunkel zu besiegen,

Das her aus jener ewgen Tiefe hallet.

 

 

 

 

 

 

Nr. 992 vom 18. September 1834

Griechische Sprache

 

 

Der Völker Sprachen grübelnd zu vergleichen,

heißt tief in ihres Geistes Wesen dringen,

denn wie die Welt zu fassen sie erreichen,

so sinnbegleitend ihre Töne klingen.

 

Das Leiseste muß finden schallend Zeichen,

der Laut umsonst nicht mit dem Geiste ringen;

und wie der Siegerwagen flüchtge Speichen,

muß sich der Rede Wechselfügung schwingen.

 

Nicht alle Völker dieses Ziel ereilen,

Nicht alle dieses Sieges Palme theilen,

Doch Einem war dies hohe Loos beschieden:

 

Dem Volk von der Pelasger altem stamme

Entbrennete des Geistes heilge Flamme

Tonreich, wie keinem andren Volk hienieden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           An ***

1767 – 1835                                        Nr. 1014 vom 10. Oktober 1834

 

Gieb einen Ort außer des Erdballs Schranken

mir, fest zu stehn, so will ich ihn bewegen!

sprach Archimed, des grübelnde Gedanken

ihn führten zu der Schatten dunklen Wegen.

 

Was du gefühlvoll sprichst, hast du zu danken

der gleichen Kunst: Gefühle nie dich regen;

du kannst, ergriffen nie von ihrem Schwanken,

sie kalt und ruhig auseinander legen.

 

Du spielst mit ihnen wie mit leichtem Balle,

doch die da horchen deines Wortes Schalle,

sind hingerissen wie von echter Wahrheit,

 

indes du selbst in Wintersonnenklarheit

in ihre Herzen deine Täuschung senkest

und künstlich sie dir willig folgsam lenkest.

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 1025 vom 21. 10. 1834

 

...

Jung hab ich der Gesellschaft Haß geschworen,

viel Jahre wider Willen drin verloren,

doch jetzt auf ewig gründlich sie besieget

...

 

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 1030 vom 26. 10. 1834

 

...

So wie das Tagsgestirn sich stets erneuet,

was göttlich Du, von innrem Geist getrieben,

dem Menschen tief hast ins Gemüt geschrieben,

durch alle Nachwelt Licht und Wärme leihet.

...

 

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Nr. 1043 vom 8. November 1834

1767 – 1835

Wer nichts als ewig totes Wissen treibet,

niemals Gedanken zur Idee verbindet,

nie, was den Busen tief ergreift, empfindet,

der doch nur in der Menschheit Vorhof bleibet.

 

Er gegen alles Höhere sich sträubet,

das Menschlichste vor ihm in nichts verschwindet,

und was sein Scharfsinn wahr und fein ergründet,

doch nur der Dinge Äußeres umschreibet.

 

Drum wählet, geistig stets mit ihr zu wohnen,

er sich die trockenste der Nationen,

die niemals hoher Dichtungssinn beseelet,

 

da nie Begeisterung den Busen schwellet

und nie ein Dunkel grübelnd wird erhellet,

das zu durchdringen tiefre Sehnsucht quälet.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Nr. 1051 vom 16. November 1834

1767 – 1835

Von der Natur mit Witz und Geist beschenket,

von regen Feuer auch der Brust belebet,

mit dem man aufwärts zu dem Bessren strebet,

doch niemals er sein Schiff zum Ziele lenket.

 

Denn jedesmal sich fühlend tief gekränket,

wenn sich ein andrer neben ihm erhebet,

er in dem ungewissen Zustand schwebet,

wo bald er hofft, bald nie zu glücken denket.

 

Geschleudert wird er so aus allen Bahnen,

die zu dem schönen Gleichgewichte führen,

das aus der Sicherheit der Kraft entspringet.

 

Wer ewig mit verfehlter Hoffnung ringet

und immer will Erbittrungsflammen schüren,

der hört nicht auf der Weisheit stilles Mahnen.

 

 

 

 

 

 

Nr. 1054 vom 19. November 1834

 

...

Schon Pindars nimmer welkende Gesänge

dem Wasser Preis vor allen Dingen weihen...

 

und klar umströmt die Flut zu Kühlungswonne

die kühnen Sprungs in sie getauchten Glieder

und träufet an den schönen Jüngling nieder,

 

in jeden Tropfen fassend eine Sonne;

ihr Leben dann mit seinem sie vermählet,

und er entsteigt, mit neuer Kraft gestählet.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Nr. 1088 vom 23. Dezember 1834

1767 – 1835

Hell wie Dezembersonne sie mich nannten,

weil sie in mir nicht an Gefühle glaubten;

die mir so oft des Lebens Ruhe raubten,

die innren Stürme sie in mir nicht kannten.

 

Doch weil die Gluten, die verstohlen brannten,

gedämpft vom Willen, immer mir erlaubten,

Besonnenheit des Geistes zu behaupten,

das Gleichnis doch auf mich sie wohl anwandten.

 

Denn wie des Winters mitleidlose Hände

der Sonne, daß ihr Strahlenball nicht blende,

zurück das Haar am Haupt gebunden flechten,

 

zwang ich, um jede Täuschung abzuschneiden,

die Wahrheit selber noch sich zu entkleiden

und haftete am Nackten nur und Echten.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Nr. 1089 vom 24. Dezember 1834

1767 – 1835

Sie sprachen von Gemüt und zu es schrieben

bald dem, bald jenem, weil Gefühl er hegte,

das auf der Seele Fläche sich bewegte,

doch nie hatte gediegne Frucht getrieben.

 

Ich ließ sie Ungerechtigkeit still üben;

was mächtig sich in mir im Innern regte,

nie um die Brust der Schwächlinge sich legte,

die nicht zu hassen wußten noch zu lieben.

 

Gern mich verschloß ich einsam in Gefilde,

wo fern von blöden, ungeweihten Augen,

die nicht zu schaun das Wesenhafte taugen,

 

in phantasieerregtem, glühndem Herzen

mit selger Wonne und mit selgen Schmerzen

begegneten mir himmlische Gebilde.

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 1091 vom 26. Dezember 1834

Spes

 

Ich lieb’ euch, meiner Wohnung stille Mauern,

Und habe euch mit Liebe aufgebauet;

Wenn man des Wohners Sinn im Hause schauet,

Wird lang nach mir in euch noch meiner dauern.

 

Vor Augen seh’ ich hier Hermias lauern,

Ob Schlaf der Io-Wächter schon umgrauet,

Den Gallier, der sein Weib, von Blut umthauet,

Hinsinkend sterben sieht mit Wehmuthsschauern;

 

Vor allem dich aus der Olympier Kreise,

Dich, süße Hofnung, die, nach Genius Weise,

Du Balsam mildernd gießest in die Wunden,

 

Und lehrst die Brust in stillen Ernstes Stunden,

Daß von der Sehnsucht Schmerz der Tag befreiet,

Der Menschen Dasein endet und erneuet.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Nr. 1094 vom 29. Dezember 1834

1767 – 1835                                        Frühlingswiederkehr

 

Wenn sich im Lenz der Bäume Knospen dehnen,

und Blätter zu entfalten sich bereiten,

ergreift die Brust ein süß hinschmelzend sehnen,

und innrer Drang und äußre Enge streiten.

 

Doch, kann das dumpfe ahnungsvolle Wähnen

zu lichter Klarheit sich hervorarbeiten,

ists, wie wenn Zug von weißbeschwingten Schwänen

man siehet breiten Strom hinuntergleiten.

 

Denn aus des tiefsten Busens glühndem Schwellen,

wie aus des Himmels reinen Silberquellen,

dann die Gefühle reiner Liebe fließen;

 

und wenn auch schnee sich um die Schläfe leget,

dieselbe Sehnsucht doch geheim sich reget

mit jedem Jahr, wenn neu die Blumen sprießen.